Verwaltungsgericht Bremen - 3 V 63/23 - Beschluss vom 20.4.2023

B Tenor:

1. Die Antragsgegnerin wird im Wege der
einstweiligen Anordnung verpflichtet, den im
familiengerichtlichen Protokoll vom ... 2022
(geb. (EASO) vereinbarten begleiteten Umgang
des Antragstellers mit seinen Kindern C
(geb. ... 2013), C ... 2014) und K 2018) einzurichten.

2. Die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens
tragt die Antragsgegnerin.
B Gründe:
A
Der Antragsteller ist der leibliche Vater der
am ... 2014 geborenen ..., 2018 geborenen
K, ... 2013 geborenen C, und der am ... Die
Kindsmutter verstarb am ... 2022.

Am 09.08.2022 meldete sich eine Dolmetscherin
telefonisch beim Jugendamt Bremerhaven
und gab an, dass die Schwester der
Kindsmutter ihr mitgeteilt habe, dass der Antragsteller
gewalttätig gegenüber den Kindern
gewesen sei. Dies habe sie von der
Kindsmutter erfahren, kurz bevor diese gestorben
sei. Das Jugendamt beantragte am
12.08.2022 beim Amtsgericht Bremerhaven
den Entzug des Sorgerechts im Wege einer
einstweiligen Anordnung. In einem Gespräch
am 12.08.2022 hatten die zwei älteren Kinder
gegenüber den Jugendamtsmitarbeitern
mitgeteilt, dass alle drei Kinder mehrfach Opfer
von körperlichen Übergriffen ausgehend
vom Antragsteller geworden seien. Der Antragsteller
habe auch trotz der fortgeschrittenen
Krebserkrankung der Kindsmutter diese
regelmäßig misshandelt.

Mit Beschluss des Amtsgerichts Bremerhaven
(Familiengericht) vom 15.08.2022 (Az. EASO)
wurde dem Antragsteller im Wege der einstweiligen
Anordnung die elterliche Sorge für die
drei genannten Kinder entzogen und auf das
Jugendamt der Antragsgegnerin übertragen.
Am 23.08.2022 wurden die Kinder vom Jugendamt
in Obhut genommen und anschließend gemeinsam mit der
Schwester der Kindsmutter in einer Ferienwohnung untergebracht.

Der Antragsteller beantragte beim Familiengericht
am 19.09.2022, sein Umgangsrecht mit
den Kindern gerichtlich so zu regeln, wie es
dem Kindeswohl dienlich ist (Verfahren UG).

Am 22.09.2022 fand eine Sitzung des Familiengerichts
im Verfahren EASO statt. Im Protokoll
wird ausgeführt, dass die Beteiligten
darin übereinkamen, dass dem Antragsteller
unverzüglich begleitete Umgangskontakte,
einmal wöchentlich, mit allen drei Kindern in
begleiteter Form zugestanden werden sollten.
Insoweit werde sich das Jugendamt bemühen,
zeitnah einen entsprechenden Träger zu
präsentieren.

Mit Beschluss vom 07.10.2022 (EASO) hielt
das Familiengericht seinen Beschluss vom
15.08.2022 aufrecht. Der Antragsteller verfüge
derzeit nicht über hinreichende Kompetenzen
im Zusammenhang mit der Erziehung und
Versorgung seiner drei Kinder. So hätten die
Kinder gegenüber allen am Verfahren beteiligten
Personen, einschließlich im Rahmen ihrer
persönlichen Anhörung am 07.10.2022, von
vom Antragsteller ausgehenden durchgängigen
massiven Misshandlungen zu ihrem Nachteil
berichtet. Etwaige Anhaltspunkte dafür, dass
die Beschuldigungen nicht auf eigenem Erleben,
sondern — wie vom Antragsteller behauptet
— Folge von der Tante initiierten Manipulation
seien, hätten sich zunächst nicht feststellen
lassen.

Das Familiengericht gab zudem mit Beschluss
vom 07.10.2022 (fachpsychologisches Gutachten
zur Erziehungsfähigkeit des Antragstellers
und mit Beschluss vom 19.10.2022
(UG) ein fachpsychologisches Gutachten zu
der SO) eine Frage, welche Umgangskontakte
zwischen dem Kindesvater und den Kindern
dem Wohl der Kinder am besten entsprechen,
in Auftrag. Die Frist zur Erstattung
der Gutachten wurde mit Beschluss vom
08.02.2023 bis zum 31.05.2023 verlängert.

Der Antragsteller stellte am 07.11.2022 beim
Familiengericht einen Antrag auf Erlass einer
einstweiligen Anordnung, mit dem eine vorläufige
Umgangsregelung begehrt wird (Verfahren
EAUG). Hierzu fand am 24.11.2022 ein
Erörterungstermin statt, in dem das Gericht
darauf hinwies, dass angesichts der gegenwärtigen
Situation ein vollständiger Ausschluss der
Umgangskontakte allein aufgrund des geäußerten Willens
der Kinder nicht in Betracht
kommen dürfte. Zunächst müsse geprift werden,
ob eine Retraumatisierung der Kinder bei
Zusammentreffen mit dem Antragsteller zu
befürchten sei. Um dies auszuschließen, sei die
Vor- und Nachbereitung der Umgangskontakte
zwingend erforderlich. Ergebe sich im Rahmen
der Vorbereitung, dass etwaige traumatische
Ereignisse zu beflirchten seien, seien die
Umgangskontakte nicht durchzuführen. Vor
dem Hintergrund, dass seitens des Jugendamtes
kein Träger habe benannt werden
können, vermöge das Familiengericht gegenwärtig
die Umgangskontakte nicht zu regeln.
Insoweit sei abzuwarten, zu welchem Ergebnis
die Recherche des Verfahrensbevollmächtigten
des Antragstellers führen werde.

Der Verfahrensbevollmächtigte des Antragstellers
teilte gegenüber dem Amitsgericht
Bremerhaven mit Schriftsatz vom 16.12.2022
mit, dass der Träger | zu Ende Januar 2023
Kapazitäten frei habe und einen wochentlichen
Umgangskontakt, der vor- und nachbereitet
werde, gewahrleisten kénne. Die Antragsgegnerin
erwiderte hierauf, dass derzeit
kein ambulanter Träger für begleitete Umgange
zur Verfügung stehe. Der Träger "I"
habe seine anfängliche Zusage zurückgezogen,
nachdem das Jugendamt die Notwendigkeiten
an ausführlicher schriftlicher Berichterstattung
sowie ausreichend englischen
Sprachkenntnissen deutlich gemacht habe.


Der Antragsteller hat am 13.01.2023 beim
Verwaltungsgericht den vorliegenden Eilantrag
gestellt. Er beantragt, der Antragsgegnerin
im Wege der einstweiligen Anordnung
aufzugeben, einen Trager fur die Umgangsbegleitung
zu suchen und einen entsprechenden
Hilfeplan diesbezlglich zu erstellen. Die
Verpflichtung des Jugendamtes in Bezug auf
Umgangskontakte und bei der Suche von
Trdgern mitzuwirken, ergebe sich unmittelbar
aus § 36 SGB VIil. Der Verpflichtung, Hilfeplane
zu erstellen und Trager fur begleiteten
Umgang zu suchen und zu finden sowie die
entsprechende Kostentragungspflicht zu klaren,
komme das Jugendamt nicht nach. Die
Antragsgegnerin ist dem Eilantrag entgegengetreten.
Zutreffend sei, dass derzeit keine
Umgangskontakte stattfanden, wobei das Jugendamt
stets darum bemiht gewesen sei,
den begleiteten Umgang zu ermdglichen.
Entsprechende Anfragen beim K, dem D und
der | seien erfolglos geblieben. Es sei dem Jugendamt
nicht moglich, einen Trager zur
Umgangsbegleitung zu verpflichten.

Am 21.02.2023 fand ein von der Amtsvormundin
der Kinder und einem weiteren Sozialarbeiter
der Antragsgegnerin begleiteter Umgang
zwischen dem Antragsteller und seiner jlingsten
Tochter K statt. In einem an das Familiengericht
tibersandten Bericht vom 02.03.2023 fihrt der
Sozialarbeiter der Antragsgegnerin aus, dass
die zwei élteren Kinder das Angebot, an dem
begleiteten Umgang am 21.02.2023 teilzunehmen,
nachdrlcklich und unter Tranen abgelehnt
hatten. Der Umgang zwischen dem Antragsteller
und K sei stérungsfrei verlaufen. Der
Antragsteller habe sich angemessen scheine den
Umgang, nach kurzer anfinglicher Befangenheit,
verhalten und auch K genossen zu haben.
Hinterher sei jedoch bekannt geworden, dass
der Antragsteller die mit seinem Handy ge-
machten Fotos genutzt habe, um seinem Unmut
in sozialen Medien in nicht angemessener
Weise kundzutun. Er werde darauf verzichtet,
einen Antrag auf Umgangsausschluss zu stellen.
Auch die Anfrage an die freien Triger werde
aufrechterhalten. Die mit dem Antragsteller besprochenen,
von ihnen begleiteten Umginge
im 14-tagigen Turnus wiirden jedoch bis auf
Weiteres nicht stattfinden.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf
den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen
Behodrdenakten Bezug genommen.

 

II


Das Rechtsschutzbegehren des Antragstellers
wird gemaB §§ 122 Abs. 1, 88 VWGO dahingehend
ausgelegt, dass er im Wege einer einstweiligen
Anordnung gemiR § 123 VwGO die
Verpflichtung der Antragsgegnerin beantragt,
den vereinbarten begleiteten Umgang des Antragstellers
mit seinen Kindern einzurichten.

Der so verstandene Antrag hat Erfolg.
Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das
Gericht eine einstweilige Anordnung in Bezug
auf den Streitgegenstand treffen, wenn die
Gefahr besteht, dass durch eine Veranderung
des bestehenden Zustandes die Verwirklichung
eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder
wesentlich erschwert wird. Nach Satz 2 der
Vorschrift sind einstweilige Anordnungen auch
zur Regelung eines vorfaufigen Zustands in Bezug
auf ein streitiges Rechtsverhiltnis zulissig,
wenn diese Regelung zur Abwendung von wesentlichen
Nachteilen oder drohender Gewalt
oder aus anderen Grinden nétig erscheint. Erforderlich
ist neben einer besonderen Eilbediirftigkeit
der Regelung (Anordnungsgrund),
dass dem Hilfesuchenden mit Wahrscheinlichkeit
ein Anspruch auf die begehrte Regelung
zusteht (Anordnungsanspruch). Anordnungsgrund
und Anordnungsanspruch sind glaubhaft
zu machen, § 123 Abs. 3 VWGO i.V.m.
§ 920 Abs, 2 ZPO.

Dabei entspricht es dem Wesen der einstweiligen
Anordnung, dass es sich um eine vorliufige
Regelung handelt und der jeweilige Antragsteller
nicht bereits im Verfahren des vorlaufigen
Rechtsschutzes das erhalten soll, worauf sein
Anspruch in einem Hauptsacheverfahren gerichtet
ist; das Verfahren der einstweiligen Anordnung
soll also nicht die Hauptsache vorweg
nehmen. Das grundsitzliche Verbot der Vorwegnahme
der Hauptsache gilt im Hinblick auf
Art. 19 Abs. 4 GG jedoch dann nicht, wenn eine
bestimmte Regelung zur Gewdhrung eines
effektiven Rechtsschutzes schlechterdings notwendig
ist, d. h. wenn die zu erwartenden
Nachteile fiir den Antragsteller unzumutbar wiren
und ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit
fir einen Erfolg auch in der Hauptsache spricht
(vgl. BVerwG, Beschluss vom 26.11.2013 —
6 VR 3/13, juris Rn. 5 ff. m.w.N.). Diese Voraussetzungen
sind hier erfullt,

1. Vorliegend ldsst sich eine hohe Wahrscheinlichkeit
fir das Bestehen des vom Antragsteller
verfolgten Anspruchs auf Einrichtung der vereinbarten
begleiteten Umgangskontakte in
dem tenorierten Umfang feststellen.

Rechtsgrundlage fir den geltend gemachten
Anspruch ist § 18 Abs. 3 Satz 3 und 4 SGB V!II.
Nach Satz 3 der Regelung haben u. a. Eltern einen
Anspruch auf Beratung und Unterstiitzung
bei der Ausiibung des Umgangsrechts. Die Regelung
aus § 18 Abs. 3 Satz 3 SGB VIII vermittelt
dem Umgang beanspruchenden Elternteil
ein verwaltungsgerichtlich einklagbares subjektives
Recht gegen den staatlichen Triger der
Jugendhilfe auf Beratung und Unterstiitzung
bei der Austibung des Umgangsrechts, welches
nétigenfalls im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes
durchgesetzt werden kann (vgl.
BVerfG, Nichtannahmebeschluss v. 29.07.2015
-1 BvR 1468/15 —, juris Rn. 6; OVG Miinster,
Beschluss vom 28.12.2016 — 12 B 1336/16 -,
juris Rn. 6). GemaR § 18 Abs. 3 Satz 4 SGB Vili
soll das Jugendamt bei der Herstellung von
Umgangskontakten und bei der Ausfihrung
gerichtlicher oder vereinbarter Umgangsregelungen
vermitteln und in geeigneten Fallen Hilfestellung
leisten.


Die Vorschriften des § 18 Abs. 3 Satz 3 und 4
SGB Vil dienen jedoch nicht der Verschaffung
eines Umgangsrechts, sondern nur der Unterstitzung
und Hilfestellung des Jugendhilfetragers
bei der Ausiibung eines bestehenden
Umgangsrechts bzw. bei der Ausfiihrung vereinbarter
oder gerichtlicher Umgangsregelungen.
Ein unmittelbarer Anspruch auf Verschaffung
des Umgangs mit einem Kind folgt allein
aus der familienrechtlichen Vorschrift des
§ 1684 Abs. 1 Halbsatz 2, Abs. 4 BGB. Uber
dessen Bestehen und Umfang trifft jedoch nicht
der Jugendhilfetriger, sondern gemiB § 1684
Abs. 3 Satz 1, Abs. 4 Satz 1 BGB allein das Familiengericht
eine Entscheidung, sofern keine
einvernehmliche Regelung tber die Ausitbung
des Umgangsrechts erzielt werden kann (vgl.
OVG Bremen, Beschluss vom 22.4.2016 — 1 B
28/16). Dem Familiengericht kommt jedoch
weder gegentiber dem Jugendamt noch gegenlber
freien Tragern der Jugendhilfe eine Anordnungskompetenz
zur Begleitung von Umgangen
zu. Um dem Familiengericht die
Anordnung einer Umgangsregelung zu ermoglichen,
beinhaltet der Anspruch des umgangsberechtigten
Elternteils auf Hilfestellung nach
§ 18 Abs. 3 Satz 3 und 4 SGB VIIi auch, dass
das Jugendamt gegeniiber dem Familiengericht
seine Bereitschaft zur Mitwirkung bei der Einrichtung
und Durchfiihrung von begleiteten
Umgangskontakten erklart (vgl. OVG NW, Beschluss
vom 15.12.2021 - 12 B 1551/21 -, juris
Rn. 12 ff) . Hierzu zihlt auch die Benennung
eines zur Durchfithrung des Umgangs bereiten
Tragers durch das Jugendamt gegeniiber dem
Familiengericht (vgl. Schader, Umgangspflegschaft
und Umgangsbegleitung, JAmt 2021, 2).
Trifft das Familiengericht hiernach eine dementsprechende
Umgangsregelung, setzt sich die
Verpflichtung des Tragers der &ffentlichen -
gendhilfe in der tatsichlichen Mitwirkung fort
(vgl. OVG NW, Beschluss vom 28.12.2016 -
12 B 1336/16 -, juris Rn. 11).

Zwar hat das Familiengericht im vorliegenden
Fall im Verfahren auf Erlass einer einstweil;-
gen Anordnung zur Regelung des Umgangsrechts
(EAUG) bislang keine gerichtlichen
Umgangskontakte angeordnet. Jedoch wurge
in der nichtéffentlichen Sitzung des Familiengerichts
vom 22.09.2022 im Sorgerechtser.
fahren EASO zwischen den Beteiligten e
Vereinbarung getroffen, dass der Antragsteller
einmal wochentlich begleiteten Umgang
mit seinen drei Kindern haben soll. Die Antragsgegnerin
war im familiengerichtlichen
Prozess EASO vertreten und hat ihre Bereitschaft
erkldrt, einen Trager fir die Umgangsbegleitung
zu suchen. Diese Vereinbarung
bestimmt den Rahmen, innerhalb dessen der
Antragsteller das Umgangsrecht mit seinen
Kindern wahrehmen kann. Die Vereinbarung
wurde - soweit nach Aktenlage ersichtlich
— nicht widerrufen und gilt daher
auch aktuell noch fort.

Es ist auch ein geeigneter Fall im Sinne des
§ 18 Abs. 3 Satz 4 SGB VIII gegeben. Bei der
Auslegung des Begriffs des , geeigneten Fals"
ist im Ansatz davon auszugehen, dass das
Recht von Eltern auf Umgang mit ihrem Kind
(und umgekehrt), das in § 1684 BGB einfachgesetzlich
geregelt ist, sowohl durch Art. 6
Abs. 2 GG grundrechtlich als auch durch Art. 8
Abs. 1 EMRK menschenrechtlich gewahrleistet
ist, ihm also ein hoher Rang zukommt. Dem
entspricht es, dass die Beschrinkung oder gar
der Ausschluss des elterlichen Umgangs mit
dem Kind strengen verfassungsrechtlichen Anforderungen
unterliegt und einer vor dem hohen
Rang der genannten Gewahrleistungen
standhaltenden Rechtfertigung bedarf.

Richtschnur fiir die insoweit vorzunehmende
VerhdltnismaBigkeitspriifung ist dabei das Kindeswohl,
dem im Konfliktfall der Vorrang vor
den Elterninteressen zukommt (vgl. OVG Saarlouis,
Beschluss vom 4.8.2014 — 1 B 283/14 -,
juris Rn. 30 ff.). Eine Kindeswohlgefahrdung
liegt dann vor, wenn eine gegenwértige oder
zumindest unmittelbar bevorstehende Gefahr
fir die Kindeswohlentwicklung abzusehen i,
die bei ihrer Fortdauer eine erhebliche Schédi
gung des korperlichen, geistigen oder seelischen
Wohis des Kindes mit ziemlicher Sicherheit voraussehen
lsst. Typische Anwendungsfalle sind
Kindesmisshandlung, sexuelle Gewalt und Vernachldssigung
(vgl. OVG Minster, Beschiuss
vom 28122016 - 12 B 1336/16 -, jurs
Rn. 22).

Das Gericht hat derzeit keine Anhaltspunki
dafir, dass die Durchfiihrung von begleiteter
Umgangskontakten eine Kindeswohlgeféhdung
unmittelbar erwarten lisst. Es ist anzynehmen,
dass die Begleitung durch eine g
ZKJ Kindschaftsrecht und Jugendhilfe 7 -2023
Rechtsprechung:
eignete Fachkraft eine Kindeswohlgefahrdung
aus Anlass von Umgangskontakten mit hinreichender
Wahrscheinlichkeit ausschlielt. Auch
die Antragsgegnerin hat nicht geltend gemacht,
dass ein begleiteter Umgang des Antragstellers
zu seinen Kindern zu einer Kindeswohlgefahrdung
fithren wirde. Sie trigt im
hiesigen Gerichtsverfahren lediglich vor, dass
kein Trager gefunden werden konnte, der die
Umgangsbegleitung bernehmen kénnte. Die
Antragsgegnerin hat jedoch im Rahmen ihrer
Mitwirkungsverpflichtung alle ihr méglichen
MaBnahmen zu ergreifen, den begleiteten
Umgang in dem vereinbarten oder gerichtlich
festgestellten Umfang zu gewdhrleisten. Im
Zusammenhang mit § 79 Abs. 2 Nr. 1 SGB
VIl trifft den offentlichen Jugendhilfetrager
eine Gewdhrleistungsverpflichtung, rechtzeitig
fur ausreichende bedarfsgerechte Beratungsund
Unterstiitzungsangebote zu sorgen. Kann
das Jugendamt den Rechtsanspruch auf begleiteten
Umgang nicht mit eigenem Personal
bewerkstelligen, zahlt dazu auch die Sorgetragung,
dass entsprechende organisatorische
oder personelle Voraussetzungen ggf. {ber
freie Trager der Jugendhilfe zur Verfligung gestellt
werden (vgl. OVG NRW, Beschluss vom
27.6.2014 - 12 B 579/14 Rn. 32 ff. juris).
Fehlende organisatorische und personelle Kapazititen
sind daher kein Grund fur eine Verweigerung
der Einrichtung von Umgangskontakten
und einer entsprechenden Mitwirkung
des Jugendamtes (vgl. BeckOGK/Schermaier-
Stéckl, 1.1.2023, SGB VIII § 18 Rn. 85).

Das Jugendamt muss zunichst die Voraussetzungen
eines begleiteten Umgangs schaffen
und einen solchen durchfiihren, um beurteilen
zu kdnnen, ob sich weitere begleitete Umgénge
realisieren lassen. Erst wenn sich Umgangskontakte
wegen aufkommender Probleme in
der Person des Antragstellers oder in der Beziehung
zwischen dem Antragsteller und den
Kindern praktisch nicht umsetzen lassen, sind
die Umgangskontakte familiengerichtlich neu
zu regeln. Bis dahin obliegt es der Antragsgegnerin,
ihre Maoglichkeiten zur Férderung des
Umgangs auszuschépfen (vgl. VG Bremen,
Beschluss vom 23.11.2020 - 3 V 1093/20).

2. Der Antragsteller hat schlieBlich den erforderlichen
Anordnungsgrund glaubhaft gemacht.
Einstweiliger Rechtsschutz hat vor dem Hintergrund
des Art. 19 Abs. 4 GG die Aufgabe,
in den Fillen effektiven Rechtsschutz zu gewihrleisten,
in denen eine Entscheidung in
dem grundsatzlich vorrangigen Verfahren der
Hauptsache zu schweren und unzumutbaren,
nicht anders abwendbaren Nachteilen fuhren
wiirde, zu deren nachtriglicher Beseitigung die
Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr
in der Lage wdre (vgl. BVerfG, Beschluss vom
22.11.2002 - 1 BvR 1586/02, juris Rn. 7 u.
vom 12.5.2005 - 1 BvR 569/05, juris Rn. 24).
Bei durchschnittlichen Verfahrenslaufzeiten von
etwa einem Jahr ist dem Antragsteller ein Abwarten
bis zur Entscheidung in einem Hauptsacheverfahren
nicht zumutbar. Dem Antragsteller
drohen wesentliche Nachteile.
Ohne den begleiteten Umgang mit seinen
Kindern wiirde unwiederbringlich in sein
durch Art. 6 GG grundrechtlich geschiitztes
Elternrecht eingegriffen. Zudem wiirde ein
weiteres Zuwarten eine erhebliche (weitere)
Beeintrachtigung der Beziehung des Antragstellers
zu seinen Kindern beflirchten lassen.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154
Abs. 1, 188 Satz 2 VwGO.